Da ist der Wurm drin

9:39 Uhr – Home-Office und Kurzarbeit bringt die Menschheit ja dazu, im häuslichen Bereich besonders kreativ und fleißig zu werden. Da wird geputzt und renoviert, gestrichen und ausgebaut, gestrickt und genäht. Gärten werden zu Plantagen, Balkone zu Urlaubsdestinationen und Curry-King-Käufer zu Bio-Großbauern. Meine Projekte sind bisher eher überschaubar: Ich habe einer Gartenbank neue, rot angemalte Bretter verpasst.

Aber auch auf meinem Balkon geht es ab, aber das packt mich ja in jedem Frühjahr. Der Hopfen ist schon wieder ein paar Meter hoch, es gedeihen Chilis, Liebstöckel, Rucola, Koriander, Erdbeeren, Knoblauch, Schnittlauch, Rosmarin, Thymian, Basilikum, Pfefferminze, Mojito-Minze, Colada-Kraut und erstmals ein kleiner Strauch Heidelbeeren. Auf die Gerste verzichte ich in diesem Jahr, in den Blumenkästen wächst jetzt eine Blumenwiese. In einem Kasten züchte ich feinsten englischen Wembleyrasen.

Eine Neuerung gibt es aber doch, die mit der Corona-Freizeit zu tun hat: Ich habe mir endlich eine Wurmkiste gebaut! Das ist eine Holzkiste, in der kleine Würmer wohnen, deren Lieblingsbeschäftigung neben der Fortpflanzung das tägliche Fressen und Verdauen ihres eigenen Körpergewichts ist. Man füttert sie also mit Gemüse- und Obstresten, Salat, Blättern, Rasenschnitt, Kaffeesatz und Teebeuteln – und die Kleinen machen daraus allerbesten Dünger für den Garten. Das mit dem Up-Cycling ist ja auch ganz schön.

Ich habe mir die Box aber nicht hergetan, weil ich so gerne Würmer auf dem Balkon habe und unbedingt kostenlosen Dünger brauche. Mich hat schon lange mein Umgang mit meinem Biomüll gestört. In meinem Haus gibt es eine große Bio-Tonne, die alle Bewohner füllen dürfen. Die steht aber im Keller und man muss alles schön in Zeitung oder Papiertüten verpackt da rein tun. Das macht man für drei Kartoffelschalen, einen Mangokern oder eine Zwiebelschale einfach nicht. Und den Kompost in meiner Küche sammeln und immer in den Keller zu bringen, wenn der Behälter voll ist, hielten nur die Fruchtfliegen für eine gute Idee. Also habe ich Biomüll nur in den Keller gebracht, wenn mal richtig viel angefallen ist. Die Kleinmengen sind immer in den Hausmüll gewandert. Das ist nicht so schlimm, da ich meinen Hausmüll ja auch irgendwie füllen muss, aber irgendwie nicht richtig. Darum jetzt die Wurmbox.

Am Donnerstag sind die Kompostwürmer eingezogen, die ich in einem Angelfachmarkt vor dem sicheren Ködertod gerettet habe. Bisher verhalten sie sich noch recht unauffällig, aber ich lass sie jetzt mal ein paar Tage in Ruhe. Nach vermutlich mehreren Wochen in einer kleinen Plastikdose muss man sich an so eine neue Luxusvilla ja auch erst mal gewöhnen.

Cholula mi Amor

20:46 Uhr – Ein Abend um in Erinnerungen zu schwelgen. Erinnerungen an den letzten Dezember, als ich für einige Tage das mexikanische Städtchen Cholula besucht habe. Cholula (von der Autokorrektur gerne zu Cholera verbessert) ist ein Vorort von Puebla (berühmt für das VW-Werk), liegt fast im Speckgürtel von Mexiko-Stadt und direkt am Fuße der Vulkane Popocatepetl und Itzaccihuatl. Bekannt ist es für eine prähispanische Pyramide, auf die die Spanier, in der Annahme, dass es sich um einen Hügel handelt, eine Kirche gebaut haben. Ich habe den Ort ein bisschen wegen dieser Pyramide besucht. Vor allem aber, weil ich mich schon vorher in die Brauerei Cholula (ja, sie heißt gleich wie der Ort) verliebt hatte. Ich kannte das Bier nicht, aber das Flaschendesign hat mich schon in Deutschland neugierig gemacht.

Und ich sollte nicht enttäuscht werden. Der Ausblick von der Pyramide ist zauberhaft, die Lage direkt an einem qualmenden Vulkan beeindruckend, das Städtchen mit seinen zwei Zentren lebhaft und bei allem Tourismus doch authentisch. Vor allem aber ist die Brauerei noch schöner als die Flaschen. Ein luftiges, gelb gestrichenes Gemäuer, das eindeutig auf schönes Wetter ausgelegt ist. Es umrundet zu drei Seiten einen Innenhof, auf dem frisches, grünes Gras unter Holztischen und -bänken wächst. Auch die Terrasse ist auf Sonne ausgelegt und spendet Schatten. Sie grenzt an einen Tresen, der von allen vier Seiten zugänglich ist. In einer Ecke befindet sich die Küche, in der Kleinigkeiten bereitet werden, auf der anderen Seite die wirklich sehr, sehr kleine Brauerei an sich. Nur wenige Tische befinden sich in einem geschlossenen Raum. Wie gesagt: Schönwetter-Location. Gekrönt wird das ganze von unzähligen bunten Dreiecksfähnchen, die überall im lauen Lüftchen wehen. Wunderschön und wunderschön mexikanisch.

Mein Hotel war glücklicherweise nur 5 Fußminuten von der Brauerei entfernt. Bei meinem ersten Besuch habe ich mich noch inkognito herangepirscht, mich mit kleinen Probegläschen einmal durchs Sortiment probiert: In Mexiko ein Kölsch zu brauen muss nicht sein, das braucht ja in Köln schon kein Mensch. Das Pale Ale und das IPA waren ordentlich, das Stout nicht so mein Fall. Das fünfte Bier habe ich vergessen, vermutlich war es ein Lager oder sowas. Mein absoluter Favorit war ein Golden Ale namens Vagabondo. Ein schmackhaftes Sommerbier mit Weizen- und Gerstenmalz.

Mein zweiter Besuch war dann die Brauereiführung. Kurz vorher wurde ich benachrichtigt, dass die Führung dieses Mal keinen Eintritt kosten würde, weil gerade gebraut wird. Ich persönlich finde ja eine Brauereiführung wertiger, wenn gerade gebraut wird. Andere Länder, andere Sitten. Schön war dann auch, dass ich der einzige Teilnehmer dieser Führung war. Ich wurde von der jungen Braumeisterin in Empfang genommen, verdonnert ein Bier zu bestellen (Vagabondo) und dann dem diensthabenden jungen Braumeister übergeben. Die Brauerei war schnell gezeigt, denn sie ist wirklich extrem klein, so 15 auf 5 Meter, und extrem rudimentär. Flaschen werden noch von Hand gespült und abgefüllt, nur so als Beispiel. Also blieb mehr Zeit für eine Unterhaltung unter Bierfreunden. Und für ein weiteres Vagabondo. Irgendwann kamen wir auf das wirklich extrem coole Design der Flaschen zu sprechen, ich habe erfahren, dass nur das Pale Ale und das Stout in Flaschen abgefüllt werden, alles andere gibt es nur vom Fass. Etwas traurig, dass ich kein Vagabondo mit nach Deutschland nehmen kann, habe ich mich nach dem Kauf einer Flasche Pale Ale (das sind die hübschen, mir schon vorher bekannten Flaschen) erkundigt. Leider war nur noch genau ein Karton davon da, also so 10 Flaschen oder so. Und da meinte der Brauer, dass er den nur voll an einen Kunden verkaufen können, aber nicht mehr, wenn eine Flasche fehlt. Also kein Pale Ale für mich. Stattdessen habe ich ich Stout bekommen. Das wollte ich gar nicht so unbedingt haben, aber nach einer kostenlosen Brauereiführung hielt ich es für höflich, dieses Angebot anzunehmen. Immerhin eine Erinnerung an einen Sehnsuchtsort.

Diese Flasche steht nun in feierlichster Art vor mir. Es ist ein besonderer Moment.

Die Flasche verrät auf den ersten Blick nicht wirklich, wie das Bier heißt, oder was für ein Bier es ist. Sehr klein und verschnörkelt kann man aber entdecken, dass es sich um ein Oatmeal Stout handelt, also ein Stout mit Hafer. Das Etikett gefällt mir gut, weil es mich eben sehr an diesen wunderbaren Ort erinnert. Das Etikett ist genau genommen gar kein Etikett, weil die Flasche direkt bedruckt ist, und der Druck zeigt die Fassade des Brauereigebäudes: Eine gelbe Wand mit rotem Sockel, auf der groß das Logo der Brauerei prangt. Rechts davon ist ein Fahrrad an die Wand gemalt, das von einem Storchen geradelt wird. Links vom Logo führt ein Torbogen ins Gebäude, vor dem Torbogen liegt ein Hund. Er beobachtet eine Taube, die auf dem gepflasterten Vorplatz nach Malzkörnern pickt. Ganz rechts sitzt unter einer historischen Straßenlaterne ein Hahn, der seinen Blick ebenfalls auf die Taube richtet. Vor dem Haus steht eine kleine Bank, neben ihr zwei Flaschen Bier. Auf dem angedeuteten Dach sitzen drei weitere Tauben.

Das Bier ist im Glas schwarz und lichtundurchlässig wie die dunkelste mexikanische Nacht. Man meint der Flüssigkeit eine gewissen Cremigkeit schon anzusehen. Der feste und großzügige Schaum ist von brauner, cappucinofarbener Färbung und hält sich ewig. Das Bier sieht deutlich mächtiger aus, als seine 5,8 Prozent Alkohol erwarten lassen.

In die Nase strömen schwere Aromen von geröstetem, dunklen Malz, herber Schokolade und gesüßtem Kaffee. Im Mund überrascht dann ein recht süßes Getränk mit säuerlichem Nebengeschmack. So richtig kann ich das im Moment gar nicht einordnen, nach was das schmeckt. Nach altbekanntem Bier eher nicht, aber das ist bei einem Stout ja nicht ungewöhnlich. Um an Kaffee zu erinnern fehlen die Röstaromen und vor allem die Bittere. Am Ehesten erkenne ich hier Schokolade, und zwar diese Schokolade mit den ganzen Trauben drin. Das erklärt auch diese Mischung aus Süße und fruchtiger Säure. Mir ist diese Kombination viel zu aufdringlich und etwas zu modrig. Oder es fehlt noch irgendein Geschmack, der sich gut damit ergänzt. Vom Mundgefühl ist das Bier aber perfekt: In der Tat ist es beinahe cremig, extrem vollmundig – fast schon ein Likörchen.

Wie eingangs geschrieben: Das Stout war schon in Cholula nicht mein Liebling. Die Hoffnung, dass es im kalten Deutschland plötzlich überragend schmeckt, hat sich leider nicht erfüllt. Dennoch bin ich froh, dass ich dieses Fläschchen gekauft, eine ganze Zeit lang im Gepäck rumgetragen, nach Deutschland geflogen und hier noch ein bisschen gelagert habe. Die Erinnerungen an Cholula, vor allem an die Brauerei, sind einfach so großartig – und mit einem Glas Bier von dort fühl ich mich fast wieder wie am Fuße des Popocatepetl. Die Flasche kriegt auf jeden Falle einen Ehrenplatz auf meinem Mexiko-Schrein.

Auch wenn es schnell vergeht

7:01 Uhr – Liebe Freunde, die Zeiten sind komisch. Ihr wisst schon. Mir geht es gesundheitlich gut, meine Arbeit kann ich weitestgehend aus dem Home-Office machen und auf meinem Balkon lässt es sich an diesen sonnigen Frühlingstagen auch aushalten. Ich kann das Haus jeden Tag verlassen, kann mich an der frischen Luft bewegen und täglich nach Lust und Laune einkaufen (jaja, außer Klopapier und billige Nudeln). Ich kann telefonieren, skypen, schreiben – und finde auch Zeit für Bücher, diese Zeilen – und abends sogar für Netflix. Am Wochenende kann ich problemlos meine Eltern besuchen, und über manchen verpassten sozialen Kontakt ist man ja erst mal auch gar nicht böse.

Allerdings ist auch erst Tag vier meiner dezenten sozialen Isolation. Und keiner weiß, was in den nächsten Wochen und Monaten noch auf uns zukommen. Bleiben wir tapfer, halten wir durch, machen wir das Beste daraus.

In diesen wie in allen Zeiten ist es schön, wenn die Starken den Schwachen helfen, wenn Nachbarn und Familien (wieder) näher zusammenrücken. Die kleinen Dinge machen es schließlich aus. Oder die ganz kleinen Dinge. Zum Beispiel altmodische Postkarten. Schon vor Jahren habe ich dazu aufgerufen, mir Ansichtskarten zu schicken. Jetzt ist es wieder so weit. Denkt bitte mit ein paar  Zeilen, Strichen, Stickern, Stempeln, Flecken oder Scherenschnitten an mich und sendet sie ausreichend frankiert an:

Simon Fehr, Charlottenstraße 43, 88212 Ravensburg

Ich freue mich, dass ich demnächst vielleicht nicht nur den Flyer vom Dönerladen finde, wenn ich mich mit Mundschutz und im Astronautenanzug in den Flur wage und den vorher mit dem Kärcher desinfizierten Briefkasten öffne. Bei angegebener Absenderadresse stelle ich sogar eine Antwort in Aussicht, ein frankierter Rücksendeumschlag ist nicht notwendig.

Der Pox unter den Bieren

21:39 Uhr – San Cristobal de las Casas, ein Stadt auf 2.200 Meter Höhe im mexikanischen Bundesstaat Chiapas. Im Januar durfte ich ein paar Tage an diesem sehr schönen und vor allem höchst interessanten Ort verbringen. Eines der vielen Highlights war eine Stadtführung, eine sogenannte Free Walking Tour. Normalerweise ist man bei diesen Tours auf Trinkgeldbasis mit einem lokalen Guide unterwegs, der einen zu Fuß ein paar Stunden durch die Straßen der Stadt führt und an jeder Ecke etwas erzählt. Bei der Tour in San Cristobal gab es auch einen Guide, der das ein oder andere erzählt hat. Vor allem hat er seiner kleinen Gästegruppe aber allerlei interessante Personen vorgestellt. So haben wir unter anderem den Wirt eines kleinen Lokales getroffen, einen Kunsthandwerker und einen indigenen Modedesigner. Seinen Abschluss fand der Stadtspaziergang in einem Kulturzentrum, in dem wir noch einiges über das traditionelle Getränke Pox gelernt haben und einige handwerklich gemachte Poxs probieren durften. Viele haben als Souvenir dann ein Fläschchen von diesem Zucker-Mais-Schnaps mitgenommen. Ich habe aber spitzbekommen, dass dort auch Bier gemacht wird und lieber ein Fläschchen davon mitgenommen. Probiert habe ich es vorher nicht, darum gibt das heute eine Wundertüte.

So richtig einfach ist das jetzt nicht nachzuvollziehen, was der Name der Brauerei ist und was der Name des Bieres sein soll. Das ist wirklich eine sehr kleine, sehr handwerkliche Klitsche, über die man auch im Internet wenig findet. Umso spannender. Das Etikett ist im unteren Drittel flächig dunkelorange, darüber weiß. In schwarzer Schrift steht Marsellesa (ich vermute, dass das die Brauerei ist) und etwas größer IPA Leluya darauf. Darüber ist eine kunstvoll gezeichnete, gelbe Fliege zu sehen. Darunter, auf einem goldenen, von Gerstenähren umstellten, Balken steht „Indian Pale Ale“. Ich weiß, dass es etwas belehrend ist, aber: Der Bierstil IPA heißt eben India Pale Ale, weil das Bier ursprünglich für Indien gemacht wurde, und nicht in Indien – also nicht indisch/indian ist. Jetzt frage ich mich, ob sich da ein leichtsinniger Fehler eingeschlichen hat, die Mexikaner nicht so viel Wert auf dieses Detail legen, oder ob das tatsächlich eine Anspielung auf die großteils indigene Bevölkerung der Gegen um San Cristobal sein soll.

In das Aussehen des IPAs im Glas habe ich mich sofort verliebt. Helle Kastanienfarben mit leichter Rötung, bedeckt von einer kleinen, leicht cremefarbenen Schaumschicht. Der Duft strömt nicht gerade wild aus dem Glas, aber wenn man am Bier riecht, gefällt es: Deutlich herbe Hopfenaromen, zusammen mit dem Geruch säuerlicher Zitrusfrüchte. Dazu dringen Röstaromen in die Nase. Schön!

Beim ersten Schluck wird deutlich, dass das Leluya ein richtiges Hopfenbrett ist. Die Herbe schlägt mit voller Breitseite zu, am Gaumen wird es sofort bitter, während sich auf der Zunge Aromen aus dem Wald zeigen: Nadelholz, feuchte Rinde, Tannenzapfen, Farn. Vom Mundgefühl her ist das 5,5 Prozent starke Bier sehr angenehm, vollmundig und trotzdem einigermaßen leicht. Das geröstete Malz zeigt sich nur unterschwellig, führt aber zu einem trockenen Abgang hin. Erst nachdem Glas nur noch halb voll ist, trauen sich langsam auch die ganz kleinen, fruchtigen Aromen heraus. Diese bleiben aber sehr nahe am waldigen Eindruck, also keine Spur von süßen Mangos und Papayas, vielmehr sind wir hier bei dunklen Waldbeeren.

Ein hervorragendes IPA, auch wenn es wegen seiner enormen Herbe nichts für Anfänger ist. Ehrlich gesagt hätte ich bei dem Aussehen der Flasche und dem Herkunftsort nicht zwangsläufig mit einem so tollen Bier gerechnet.

Urban Beergardening XI

18:47 Uhr – Es war leider zu befürchten: Das Bier, das nur aus Zutaten von meinem Balkon – also selbst angebauter Gerste und Hopfen, gesammeltem Regenwasser und wilder Hefe – entstanden ist, ist ungenießbar. Heute habe ich es nach acht Wochen Reifung im Kühlschrank geöffnet. Dabei sieht es sogar einigermaßen nach Bier aus, denn es ist recht trüb, in einem erdigen Gold mit leichtem Orangestich. Schaum bildet sich keiner, nur kleine Bläschen. Der Geruch lässt dann aber schon vermuten, in welche Richtung es geschmacklich geht. Neben trockenem Getreide riecht das Gebräu vor allem nach Essig unter alter Butter.

Der erste Nipper offenbart ein wässriges, trockenes und saures Getränk. Nichts, was zu einem zweiten Nipper einlädt. Aber in dem Bier steckt ein halbes Jahr Gartenarbeit, darum folgen noch weitere Schlücke. Und diese bringen Erinnerungen an sauer vergorenen Apfelsaft und Fruchtessig mit sich. Das hört sich jetzt vielleicht ganz spannend an, aber die ganze Wahrheit ist: Ja, vielleicht habe ich ein Sauerbier gebraut. Aber definitiv ein sehr ekelhaftes.

Optisch okay, geschmacklich nicht.

Das Fazit zur urbanen Bierzucht: Beim Hopfenanbau haben die Läuse ein bisschen gestört, aber das geht gut. Die Gerste gedeiht im Topf nicht so wirklich gut; auch weil sie zu wenig Platz hat. Das Mälzen und Rösten der kleinen Menge ist dagegen kinderleicht. Das Regenwasser zu sammeln ist kein Problem. Wilde Hefen einzufangen funktioniert offensichtlich auch (falls es nicht irgendwas anderes war, was ich da gefangen habe), aber man weiß halt nicht, was da ins Bier kommt. Das, was in meines geflogen ist, will man da ganz sicher nicht haben.

Ich habe bei der Aktion ein bisschen was über die Entstehung von Bier gelernt – und bin zu der Einsicht gekommen, dass man die Zutaten abseits vom Hopfen doch sehr viel leichter von Dritten nimmt und nicht selbst dafür sorgt.

Urban Beergardening X

20:28 Uhr – Vom Balkon in die Küche. Nach (hoffentlich) erfolgreichem Mälzen war gestern Brauabend. Zuerst die halbe Hand voll Gerstenmalz in der elektrischen Kaffeemühle geschrotet, aus dem Schrot und dem guten halben Liter gesammeltem Regenwasser eine schöne Maische gekocht. Abgemaischt, die Würze zum Kochen gebracht und ein bisschen getrockneten Hopfen dazu gegeben. Und nach Kochende noch eine zweite Hopfengabe.

Die nächsten Tage wird es bei mir auf jeden Fall keinen Kaffee geben. In meinem Kaffeekännchen wartet nun nämlich dieses Gebräu aus Regenwasser, Gerste und Hopfen auf wilde Hefen. Dazu habe ich es auf meinen Balkontisch gestellt. In der Hoffnung, dass in den nächsten Tagen mal ein paar Hefen mit dem Wind angeflogen kommen, in meine Kännchen hüpfen und den Inhalt zu einem schönen Bier vergären.

Urban Beergardening IX

21:51 Uhr – Neues vom Urban Beergardening-Brau-Projekt. Vor ein paar Tagen hatte ich angekündigt, dass ich jetzt anfangen werde, meine spärliche Gerstenernte zu Malz zu verarbeiten. Zunächst habe ich die Körner insgesamt drei Mal für zwei Stunden in Wasser eingelegt und anschließend 8 Stunden trocknen lassen. Danach haben sich schnell erst kleine, weiße Schwänzchen gezeigt – der Keimprozess hatte begonnen.  Anschließend durfte die Gerste vier Tage lang weiter keimen, dabei habe ich sie immer wieder leicht befeuchtet. Als eine Probe ergeben hat, dass die Gerstenkerne innen nun vollkommen weiß waren, kamen sie auf einem Teller für 48 Stunden bei 40°C in den Backofen. Hier war die kleine Menge natürlich sehr hilfreich. 2 Tonnen hätten in meinem Backofen schlichtweg keinen Platz. Nach dem Trocknen habe ich vorhin das  – jetzt – Malz noch eine halbe Stunde bei 170°C geröstet. Jetzt ist es fertig und das Brauexperiment kann bald beginnen.

Mein erstes eigenes Malz

Heute Morgen wollte ich den zweiten Schwung Hopfen ernten. Die Ernte war allerdings sehr frustrierend. Am Callista, den ich schon vor zwei Wochen abgeerntet hatte, ist eigentlich nichts mehr nachgekommen. Und der Polaris hatte eine sehr, sehr schwache Ausbeute. 20 Dolden vielleicht, mehr nicht. Ich befürchte, dass diese Pflanze durch den Lausbefall, der immer wieder kam, doch geschwächt war. Außerdem hat sie einen etwas schattigeren Standort. Alles Schlechte hat aber auch seine guten Seiten: Dank der vielen Läuse fühlen sich Marienkäfer auf meinem Balkon extrem wohl, derzeit besiedeln unzählige Marienkäferlarven die Hopfenblätter.

Außerdem – zum Glück regnet es mal wieder – sammel ich gerade in einem großen Topf auf meinem Balkon Regenwasser. Denn Wasser braucht man zum Brauen ja schließlich auch.

Urban Beergardening VIII

21:53 Uhr – Nachdem ich am Samstagmorgen die Gerstenhalme geschnitten habe, habe ich mich am Nachmittag ans grobe Vorsortieren gemacht: Halme und Blätter von den Ähren trennen. Das war bei der kleinen Menge schon ganz schön viel Arbeit. Völlig aussichtslos war es aber, von Hand die einzelnen Kerne aus den Ähren zu pulen. Also habe ich den Küchenmixer mit einem stumpfen Aufsatz zum Minidrescher umfunktioniert und gedroschen, was das Zeug hält. Das hat sogar einigermaßen gut funktioniert und die Ähren in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt. Und im Mixer ist ein Plastikteil durchgebrannt. Ein bisschen Schwund gibt’s immer.

Die nächste Herausforderung war nun, die Spreu von der Gerste zu trennen. Wieder eine Arbeit, die von Hand viel zu aufwändig wäre. Zuerst habe ich es mit Wind versucht. Ich habe in die Schüssel geblasen – und tatsächlich sind die ganz leichten Bestandteile davongeflogen. Trotzdem war noch viel zu viel übrig. Mir kam dann die Idee, alles in einen Eimer voll Wasser zu geben. Das hat wirklich einwandfrei funktioniert, die Kerne sind abgesunken, alles andere blieb oben. Zwischenziel erreicht.

Jetzt die Enttäuschung: Es sind nur sehr, sehr wenige Kerne übrig geblieben. Genau genommen 11 Gramm. Keine Hand voll. Aber 11 Gramm sind 11 Gramm und nicht nichts. Also lebt das Balkonbier weiter, auch wenn es (wenn überhaupt) nur sehr wenig werden wird. Und es konnte mit dem Mälzen losgehen. Heute Abend habe ich die Gerste für zwei Stunden in lauwarmes Wasser eingelegt, soeben habe ich sie abgesiebt und zum trocknen auf ein Teller gelegt. Dort bleiben sie bis morgen früh, dann wiederhole ich den Vorgang. Im Idealfall fangen die Samen dann bald zu keimen an. Es bleibt spannend und ich berichte weiter.

Achso, der am Samstag geerntete Hopfen ist inzwischen an der Sonne schön getrocknet und auch schon eingefroren.

Urban Beergardening VII

7:48 Uhr – Erntetag. Ich begebe mich jetzt gleich mit einer Tasse frisch aufgebrühtem Kaffee auf meinen Balkon, denn die Zeit ist reif, die ersten Früchte der sommerlichen Gartenpflege zu ernten. Der Callista-Hopfen, der den etwas sonnigeren Platz hat, ist recht doldenbehangen. Da werde ich schon ein bisschen was weg machen können. Die Gerstenhalme sind zu 90 Prozent trocken, da wird also ohnehin nichts mehr wachsen und ich kann die vermutlich kümmerliche Ausbeute einfahren.

9.09 Uhr – Jetzt habe ich zwar zerkratzte Unterarme, aber der Callista ist abgeerntet. Im oberen Drittel ist die Pflanze zu einem ganz schön dichten Gestrüpp verkommen, das die Dolden sehr gut versteckt. Da ich meinen schönen Sichtschutz nicht komplett runter reißen wollte, habe ich die Dolden also wirklich einzeln raus gepflückt. Dieser Duft! Ein sehr zitroniges Hopfenaroma hat mich eingehüllt und haftet hoffentlich für immer an meiner Haut fest. Gäbe es jetzt schon das Bier, das aus diesem Hopfen gebraut werden wird – ich würde es ungeachtet der Uhrzeit trinken. Die Ernte füllte so ungefähr eine halbe, kleine Wanne. Ungefähr 100 Gramm, wenn die Dolden dann getrocknet sind, würde ich mal schätzen. Das ist nicht extrem viel, aber ich bin zufrieden. 20 Liter Bier gibt das allemal.

Dem Polaris-Hopfen lasse ich noch ein paar Sonnentage, da ist der Behang noch nicht besonders üppig. Jetzt geht es mit der Gerste weiter.

9:38 Uhr – Die Gerstenernte ist extrem frustrierend. Es sind nur sehr wenige schöne Ähren dran, die dann eine mickrige Ausbeute von ein bis drei sehr kleinen Gerstenkernen abgeben. Um an die ranzukommen, ist es aber eine langwierige Popelei. Ich habe jetzt mal die kompletten Halme geschnitten und muss mir einen etwas effektiveren Weg überlegen, wie ich an die Kerne komme. Stichwort: Dreschen. Jeden einzeln von Hand rausnehmen scheint mir keine Option zu sein. Davon abgesehen verlässt mich auch etwas der Optimismus, ob aus diesen zurückgebliebenen Kernchen wirklich Bier entstehen kann.

Urban Beergardening VI

20:26 Uhr – Die Erntezeit rückt sichtbar näher. Der Callista-Hopfen hat vor ungefähr zwei Wochen angefangen, auffällig zu blühen. Erst dachte ich, dass irgendwas nicht stimmt, weil ich noch nie bewusst weiße Blüten an einer Hopfenpflanze wahrgenommen habe. Es ist aber alles gut, denn die Blüten werden nach und nach zu schönen Hopfendolden. Der Polaris-Hopfen hat direkt Dolden angesetzt, oder vielleicht waren die Blüten einfach auch nur extremst unauffällig. Beide Pflanzen haben noch nicht sehr viele Dolden, aber ich hoffe, dass da noch einiges kommt. Noch ein paar Tage Sonne, dann kann ich die ersten ernten und trocknen.

Für die Gerste gilt, so glaube ich, das gleiche. Noch zwei, drei warme Tage und ich kann mit der Ernte beginnen. Der Großteil der Halme ist inzwischen sehr trocken und entsprechend braun. Nur noch wenige Halme sind grün. Leider sind weitere Pflanzen abgestorben, so dass die Ausbeute relativ gering ausfallen wird. Dazu kommt, dass die Körner recht klein sind. Man muss sicher überlegen, ob Gerste vielleicht doch nicht das optimale Balkongetreide ist. Festzuhalten ist aber auch, dass es mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit eine Ernte geben wird – und damit das Projekt, ein Bier nur mit Zutaten vom eigenen Balkon zu brauen, am Leben ist.

Das heißt natürlich auch, dass ich mich so langsam ernsthaft mit der Kunst des Mälzens vertraut machen muss. Denn die geernteten Gerstenkörner wollen ja auch verarbeitet werden.