20:46 Uhr – Ein Abend um in Erinnerungen zu schwelgen. Erinnerungen an den letzten Dezember, als ich für einige Tage das mexikanische Städtchen Cholula besucht habe. Cholula (von der Autokorrektur gerne zu Cholera verbessert) ist ein Vorort von Puebla (berühmt für das VW-Werk), liegt fast im Speckgürtel von Mexiko-Stadt und direkt am Fuße der Vulkane Popocatepetl und Itzaccihuatl. Bekannt ist es für eine prähispanische Pyramide, auf die die Spanier, in der Annahme, dass es sich um einen Hügel handelt, eine Kirche gebaut haben. Ich habe den Ort ein bisschen wegen dieser Pyramide besucht. Vor allem aber, weil ich mich schon vorher in die Brauerei Cholula (ja, sie heißt gleich wie der Ort) verliebt hatte. Ich kannte das Bier nicht, aber das Flaschendesign hat mich schon in Deutschland neugierig gemacht.
Und ich sollte nicht enttäuscht werden. Der Ausblick von der Pyramide ist zauberhaft, die Lage direkt an einem qualmenden Vulkan beeindruckend, das Städtchen mit seinen zwei Zentren lebhaft und bei allem Tourismus doch authentisch. Vor allem aber ist die Brauerei noch schöner als die Flaschen. Ein luftiges, gelb gestrichenes Gemäuer, das eindeutig auf schönes Wetter ausgelegt ist. Es umrundet zu drei Seiten einen Innenhof, auf dem frisches, grünes Gras unter Holztischen und -bänken wächst. Auch die Terrasse ist auf Sonne ausgelegt und spendet Schatten. Sie grenzt an einen Tresen, der von allen vier Seiten zugänglich ist. In einer Ecke befindet sich die Küche, in der Kleinigkeiten bereitet werden, auf der anderen Seite die wirklich sehr, sehr kleine Brauerei an sich. Nur wenige Tische befinden sich in einem geschlossenen Raum. Wie gesagt: Schönwetter-Location. Gekrönt wird das ganze von unzähligen bunten Dreiecksfähnchen, die überall im lauen Lüftchen wehen. Wunderschön und wunderschön mexikanisch.
Mein Hotel war glücklicherweise nur 5 Fußminuten von der Brauerei entfernt. Bei meinem ersten Besuch habe ich mich noch inkognito herangepirscht, mich mit kleinen Probegläschen einmal durchs Sortiment probiert: In Mexiko ein Kölsch zu brauen muss nicht sein, das braucht ja in Köln schon kein Mensch. Das Pale Ale und das IPA waren ordentlich, das Stout nicht so mein Fall. Das fünfte Bier habe ich vergessen, vermutlich war es ein Lager oder sowas. Mein absoluter Favorit war ein Golden Ale namens Vagabondo. Ein schmackhaftes Sommerbier mit Weizen- und Gerstenmalz.
Mein zweiter Besuch war dann die Brauereiführung. Kurz vorher wurde ich benachrichtigt, dass die Führung dieses Mal keinen Eintritt kosten würde, weil gerade gebraut wird. Ich persönlich finde ja eine Brauereiführung wertiger, wenn gerade gebraut wird. Andere Länder, andere Sitten. Schön war dann auch, dass ich der einzige Teilnehmer dieser Führung war. Ich wurde von der jungen Braumeisterin in Empfang genommen, verdonnert ein Bier zu bestellen (Vagabondo) und dann dem diensthabenden jungen Braumeister übergeben. Die Brauerei war schnell gezeigt, denn sie ist wirklich extrem klein, so 15 auf 5 Meter, und extrem rudimentär. Flaschen werden noch von Hand gespült und abgefüllt, nur so als Beispiel. Also blieb mehr Zeit für eine Unterhaltung unter Bierfreunden. Und für ein weiteres Vagabondo. Irgendwann kamen wir auf das wirklich extrem coole Design der Flaschen zu sprechen, ich habe erfahren, dass nur das Pale Ale und das Stout in Flaschen abgefüllt werden, alles andere gibt es nur vom Fass. Etwas traurig, dass ich kein Vagabondo mit nach Deutschland nehmen kann, habe ich mich nach dem Kauf einer Flasche Pale Ale (das sind die hübschen, mir schon vorher bekannten Flaschen) erkundigt. Leider war nur noch genau ein Karton davon da, also so 10 Flaschen oder so. Und da meinte der Brauer, dass er den nur voll an einen Kunden verkaufen können, aber nicht mehr, wenn eine Flasche fehlt. Also kein Pale Ale für mich. Stattdessen habe ich ich Stout bekommen. Das wollte ich gar nicht so unbedingt haben, aber nach einer kostenlosen Brauereiführung hielt ich es für höflich, dieses Angebot anzunehmen. Immerhin eine Erinnerung an einen Sehnsuchtsort.
Diese Flasche steht nun in feierlichster Art vor mir. Es ist ein besonderer Moment.
Die Flasche verrät auf den ersten Blick nicht wirklich, wie das Bier heißt, oder was für ein Bier es ist. Sehr klein und verschnörkelt kann man aber entdecken, dass es sich um ein Oatmeal Stout handelt, also ein Stout mit Hafer. Das Etikett gefällt mir gut, weil es mich eben sehr an diesen wunderbaren Ort erinnert. Das Etikett ist genau genommen gar kein Etikett, weil die Flasche direkt bedruckt ist, und der Druck zeigt die Fassade des Brauereigebäudes: Eine gelbe Wand mit rotem Sockel, auf der groß das Logo der Brauerei prangt. Rechts davon ist ein Fahrrad an die Wand gemalt, das von einem Storchen geradelt wird. Links vom Logo führt ein Torbogen ins Gebäude, vor dem Torbogen liegt ein Hund. Er beobachtet eine Taube, die auf dem gepflasterten Vorplatz nach Malzkörnern pickt. Ganz rechts sitzt unter einer historischen Straßenlaterne ein Hahn, der seinen Blick ebenfalls auf die Taube richtet. Vor dem Haus steht eine kleine Bank, neben ihr zwei Flaschen Bier. Auf dem angedeuteten Dach sitzen drei weitere Tauben.
Das Bier ist im Glas schwarz und lichtundurchlässig wie die dunkelste mexikanische Nacht. Man meint der Flüssigkeit eine gewissen Cremigkeit schon anzusehen. Der feste und großzügige Schaum ist von brauner, cappucinofarbener Färbung und hält sich ewig. Das Bier sieht deutlich mächtiger aus, als seine 5,8 Prozent Alkohol erwarten lassen.
In die Nase strömen schwere Aromen von geröstetem, dunklen Malz, herber Schokolade und gesüßtem Kaffee. Im Mund überrascht dann ein recht süßes Getränk mit säuerlichem Nebengeschmack. So richtig kann ich das im Moment gar nicht einordnen, nach was das schmeckt. Nach altbekanntem Bier eher nicht, aber das ist bei einem Stout ja nicht ungewöhnlich. Um an Kaffee zu erinnern fehlen die Röstaromen und vor allem die Bittere. Am Ehesten erkenne ich hier Schokolade, und zwar diese Schokolade mit den ganzen Trauben drin. Das erklärt auch diese Mischung aus Süße und fruchtiger Säure. Mir ist diese Kombination viel zu aufdringlich und etwas zu modrig. Oder es fehlt noch irgendein Geschmack, der sich gut damit ergänzt. Vom Mundgefühl ist das Bier aber perfekt: In der Tat ist es beinahe cremig, extrem vollmundig – fast schon ein Likörchen.
Wie eingangs geschrieben: Das Stout war schon in Cholula nicht mein Liebling. Die Hoffnung, dass es im kalten Deutschland plötzlich überragend schmeckt, hat sich leider nicht erfüllt. Dennoch bin ich froh, dass ich dieses Fläschchen gekauft, eine ganze Zeit lang im Gepäck rumgetragen, nach Deutschland geflogen und hier noch ein bisschen gelagert habe. Die Erinnerungen an Cholula, vor allem an die Brauerei, sind einfach so großartig – und mit einem Glas Bier von dort fühl ich mich fast wieder wie am Fuße des Popocatepetl. Die Flasche kriegt auf jeden Falle einen Ehrenplatz auf meinem Mexiko-Schrein.
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