Nachtschicht

21:48 Uhr – Ich habe es ja im letzten Eintrag schon angeschnitten: Ich habe eine kurzzeitige Karriere als Zeitungsausträger gestartet. Von letztem Mittwoch bis heute habe ich jede Nacht auf dem sogenannten Bierbuckeln in Ravensburg rund 200 Tageszeitungen verteilt. Nachdem ich jetzt fast sechs Monate in der Zustelllogistik gearbeitet habe, hatte ich einfach das Bedürfnis, auch mal den Job draußen auf der Straße kennenzulernen, über den wir im Büro den ganzen Tag reden und bestimmen. Dazu kam auch die Lust, mal wieder eine Herausforderung der ganz anderen Art zu suchen.

n8schichtDie scheinbar größte Herausforderung, das frühe Aufstehen, hat mir dann gar nicht so viel ausgemacht. Arbeitsbeginn war zwischen zwei und drei Uhr, in den kommenden Stunden habe ich dann rund 10 Kilometer mit dem Auto und rund 6 Kilometer zu Fuß zurückgelegt. Bei ziemlicher Hanglage war das ein gutes Frühsportprogramm – immer mit ein paar Kilo Zeitungen unter dem Arm und mit der Stirnleuchte auf der Suche nach den richtigen Hausnummern. Das Arbeiten in den Tag hinein hat schon was. Gerade diese melancholische Zeit, wenn es schon hell ist aber die Sonne noch nicht aufgegangen ist, wenn die Welt langsam zu Leben erwacht, mag ich schon immer gerne (auch wenn ich sie bisher eigentlich nur vom Heimweg kannte). Und um sechs Uhr morgens schon richtig was geleistet zu haben ist ein sehr erhabenes Gefühl. Wenn man dann noch vor dem letzten Briefkasten von einem fröhlichen Hausferkel begrüßt wird, ist die Welt in Ordnung.

Zu sagen, dass der Job intellektuell sehr anspruchsvoll ist, wäre sicherlich übertrieben. Aber ohne mitdenken geht es nicht. Natürlich fällt das Mitdenken leichter, wenn man sein Gebiet gut kennt. Aber am Anfang muss man sehr aufpassen, dass mein kein Haus vergisst und nicht in falsche Briefkästen steckt. Ich habe hier durchaus ein paar Reklamationen eingesammelt. Dabei fand ich die Reklamationen, die dann am Vormittag eingetrudelt sind, gar nicht so schlimm. Viel schlimmer ist dieser Moment um kurz vor sechs Uhr, wenn man seinen Fehler selbst bemerkt, weil man eine Zeitung übrig hat oder keine Zeitung mehr fürs letzte Haus übrig ist. Man steht da, hat etwas verbockt und kann es weder nachvollziehen noch gerade biegen. Diese selbstverschuldete, hilflose Situation hat mich zugegebenermaßen etwas belastet.

Seit heute 5:50 Uhr ist mein Abenteuer als Zusteller wieder beendet. Traurig bin ich nicht darüber, auch wenn ich den Job schon noch ein paar Tage hätte machen können. Viel mehr bin ich ein bisschen stolz, dass ich mich aufgerafft und freiwillig für den Job gemeldet habe und mir selbst bewiesen habe, dass ich das auch hinkrieg. Die Arbeit auf Dauer zu übernehmen – Respekt – gerade auch bei der nicht gerade rosigen Bezahlung. Und Respekt gar nicht unbedingt wegen dem frühen Aufstehen oder der weiten Strecke. Respekt vielmehr für das Verrichten einer täglich exakt gleichen und nach wenigen Tagen durch Gewohnheit stupide gewordenen Arbeit. Das würde ich nicht durchhalten.

Was auch immer dieses persönliche Experiment für die Zukunft gebracht haben mag, eines weiß ich sicher: Sollte ich mal irgendwo einen Briefkasten anbringen, wird dieser zustellerfreundlich sein. Und jetzt hole ich mir meine acht Stunden Schlaf ab. Das war in den letzten Nächten leider nicht drin.

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