Aus dem Leben eines Handlungsreisenden

21:39 Uhr – Der Handlungsreisende, der sich mit Jeanshose, kleinkariertem Hemd und Baumwollsakko gekleidet hat, betritt die Apotheke in der Hauptstraße, deren Eingangstür hinter etwas in die Jahre gekommenen Arkadenbögen versteckt liegt. Unter dem linken Arm trägt er lässig den kleinen Koffer aus billigem, schwarzem Kunstleder, in dem sich seine Unterlagen und Muster befinden. Direkt hinter der Tür steht ein rotes Münzauto, es bewegt sich nicht.

Der Apotheker, ein stattlicher Herr mit silbernem Haarkranz und üppigem silbernen Schnauzbart, begrüßt den Fremden freundlich und mit Handschlag. Außer den beiden ist niemand in der Apotheke. Der Handlungsreisende fängt an, sein Angebot vorzustellen, erklärt die Vorzüge und holt ein Musterstück aus seinem Koffer, nachdem er umständlich den Reisverschluss geöffnet hat.

Die Apotheke hat sich in der kurzen Zeit mit Menschen gefüllt: Dort sind nun zwei Frauen mit Kopftüchern und einem kleinen Mädchen, das im inzwischen lärmenden roten Münzauto sitzt, außerdem haben ein alter, humpelnder Mann und eine voluminöse Frau mit voluminösen blonden Locken und blauer Sporthose die Apotheke betreten. Der Apotheker bittet um Entschuldigung, er müsse schließlich die Kundschaft bedienen.

Man kennt sich auf dem Dorf, so auch der Apotheker und seine Kundschaft. Entsprechend gehen die Gespräche weit über die medizinische Beratung hinaus: sie ziehen sich in die Länge. Der Handlungsreisende sieht sich in der Apotheke um, deren Inneneinrichtung sich seit einigen Jahrzehnten nicht verändert haben dürfte. Der Nutzen der Pflegeprodukte in den Regalen bleibt ihm schleierhaft.

Die beiden Männer sind wieder alleine in der Apotheke. Der Apotheker fragt seinen Gast, ob dieser eine Massage wolle und geht voraus in eine abgelegene Ecke der Apotheke. Der Handlungsreisende folgt im verunsichert ob dessen, was ihn nun erwartet. Mit einer Massage hatte er nicht gerechnet – und er möchte diese in diesem Moment und an diesem Ort weder vom Apotheker noch von sonst jemandem erhalten.

Der Handlungsreisende ist erleichtert, als ihm der Apotheker einen Platz auf einem klobigen, schwarzen Kunstledersessel zuweist, in den sich der Handlungsreisende sinken lässt. Seinen geöffneten, schwarzen Kunstlederkoffer legt er sich auf die Beine. Der Apotheker setzt sich auf einen Stuhl, der neben dem Kunstledersessel steht und setzt den Massagesessel, in dem der Handlungsreisende versunken ist, mit einer Fernbedienung in Bewegung.

Leicht irritiert fährt der Handlungsreisende damit fort, die Vorzüge und Alleinstellungsmerkmale seines Produktes zu erörtern, den Körper nach links zum Apotheker gedreht. Mit Gewalt drückt der Massagesessel von hinten in den verdrehten Rücken, versucht die Wirbel des Handlungsreisenden aus ihrer natürlichen Position zu pressen. Der Handlungsreisende lehnt sich flüchtend nach vorne, um drohenden Haltungsschäden zu entkommen. In genau diesem Moment macht sich ein sich schnell verstärkender Druck auf das Gesäß des Handlungsreisenden bemerkbar.

Die Situation wird vom Apotheker beendet, das Produkt sei zwar interessant, der Preis aber schlichtweg Wucher. Dem Handlungsreisenden ist inzwischen ohnehin jedes Ende dieser bedrückenden Situation recht. Er bedankt sich für das Gespräch und erhebt sich aus dem lebendig gewordenen Sessel. Per Handschlag verabschieden sich die beiden Männer. Der Apotheker mit silbernem Haarkranz und üppigem silbernen Schnauzbart kehrt zurück hinter seinen Tresen. Der Handlungsreisende im kleinkarierten Hemd öffnet die gläserne Ladentür neben dem roten Münzauto, er tritt hinaus auf den Gehweg, steht unter den in die Jahre gekommenen Arkadenbögen. Unter dem linken Arm trägt er angespannt den kleinen Koffer aus billigem, schwarzem Kunstleder, in dem sich seine Unterlagen und Muster befinden.

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